Am 15. Mai protestierte in Marburg ein breites Bündnis gegen das israelische Vorgehen in Gaza. Dieser Beitrag beinhaltet eine kurze historische Einordnung unsererseits sowie einen Bericht über die Kundgebung. Aladin, der für die Palästinensischen Familien Marburg sprach, beginnt seine Rede mit einem Zitat von Elad Barashi, TV-Produzent für den israelischen Sender Channel 14. Es wird möglicherweise Menschen geben, die die Echtheit dieses Zitats wie die (Nicht)Reaktion darauf kaum werden glauben können. Daher haben wir es hier mit einer Quelle verlinkt: https://taz.de/Rechte-Medien-in-Israel/!…
Einleitung:
Am 14. Mai 1948 wurde der Staat Israel innerhalb des bis dahin britischen Mandatsgebiets „Palästina“ gegründet. Er sollte wehrhaften und sicheren Schutz vor der jahrhundertelangen Verfolgung jüdischen Lebens in Europa bieten. Ihr grauenvoller Höhepunkt war die von deutschen Faschisten an den jüdischen Menschen verübte Shoa insbesondere im Zeitraum von 1942 bis 1945. In ihr versuchten die Nazis, alles von ihnen als jüdisch definierte Leben physisch zu eliminieren. Um die sechs Millionen jüdische Menschen töteten sie, Männer, Frauen, Kinder. Sie wurden vergast, erschossen, dem Hungertod und dem Tod durch Krankheiten aufgrund der miserablen hygienischen Verhältnisse und so gut wie nicht vorhandenen medizinischen Versorgung preisgegeben, sie wurden von sadistischen, entmenschlichten SS-Männern zu Tode gequält und in den Einrichtungen der staatlichen wie privaten Wirtschaft zu Tode gearbeitet. Beendet wurde dieses genozidale Treiben erst durch den Sieg der Alliierten über Hitlerdeutschland am 8. Mai 1945. Doch auch nach dem 8. Mai starben noch viele an den Folgen der an ihnen in deutschen Konzentrationslagern und außerhalb verübten Verbrechen.
Der deutschen Gesellschaft, in deren Mitte dieses singuläre Menschheitsverbrechen stattfand, entstanden dadurch so gut wie keine Kosten. Beide deutsche Staaten waren bald nach Kriegsende fest eingebunden in die Verhältnisse des Kalten Krieges. Insbesondere in seinem westdeutschen Teil, der BRD, wurde der 8. Mai als Stunde 0 mystifiziert, in der ganz wundersam aus fanatischen Nazis überzeugte Demokraten wurden.
Der palästinensischen Gesellschaft ist der Staatswerdungsprozess wie die Staatsgründung Israels mit dem Begriff „Nakba“ verbunden, der massenhaften Vertreibung aus ihren bisherigen Wohngebieten. Die zionistische Siedlung im britischen Mandatsgebiet Palästina führte schnell zu gewaltförmigen Konflikten zwischen einheimischer Bevölkerung und Hinzugekommenen. Diese verschärften sich mit dem UN-Teilungsplan Ende November 1947 drastisch. Vollends eskalierte die Gewalt, als David Ben Gurion am 14. Mai 1948 die Unabhängigkeit Israels ausrief und einen Tag später diesselbe Israel von den Armeen Ägyptens, Saudi-Arabiens, Jordaniens, Syriens, Libanons und des Iraks angegriffen wurde. Das Ende des von Israel 1949 gewonnenen Kriegs sah um die 700.000 von ihrem Zuhause vertriebenen Palästinenser*innen und 400 von ihnen einstmals bewohnten zerstörten Dörfern. Ein eigenständiger palästinensischer Staat, wie im UN-Teilungsplan von Ende 1947 vorgesehen, kam bis heute nicht zustande, genausowenig wie eine friedliche Lösung des Konflikts zwischen der palästinensischen Gesellschaft und dem israelischen Staat. Im Gegenteil, immer wieder kam es zu gewaltvollen Auseinandersetzungen und Kriegen, der folgenreichste der 6-Tage-Krieg im Sommer 1967. Nach UN-Angaben sind heute in der so genannten, von Europa aus gesehenen Nahostregion 5,7 Millionen Menschen als palästinensische Flüchtlinge registriert.
Das Selbstverständnis Israels als sichere Heimstätte jüdischen Lebens wurde am 7. Oktober 2023 schwer erschüttert. An diesem Tag überfiel führend die islamistische, der Muslimbruderschaft nahestehende Hamas grenznahe israelische Dörfer, Kibbuzim sowie ein Musikfestival und ermordete und misshandelte viele Hundert jüdische Menschen. Über 200 nahm sie als Geiseln.
Israel griff daraufhin den Gazastreifen an. Die Rhetorik der Netanjahu-Regierung ließ von Anfang an befürchten, dass Israel damit nicht allein die Zerschlagung der Hamas und die Rettung der Geiseln verfolgte, sondern Rache und Bestrafung an der gesamten Bevölkerung Gazas. So äußerte sich der israelische Verteidigungsminister Yoav Galant am 9. Oktober mit den folgenden Worten: „Wir verhängen eine vollständige Blockade des Gazastreifens: kein Strom, keine Lebensmittel, kein Wasser, kein Treibstoff, alles ist dicht. Wir kämpfen gegen menschliche Tiere und handeln entsprechend.“
Inzwischen wird die Zahl der getöteten Palästinenser*innen mit deutlich über 50.000 angegeben. Davon seien laut dem UN-Menschenrechtsbüro über zwei Drittel Kinder und Frauen. Nach Aussage der stellvertretenden Generalsekretärin für Menschenrechte, Ilze Brands Kehris, vor dem UN-Sicherheitsrat sei die Altersgruppe mit den meisten verifizierten Todesfällen Kinder im Alter von fünf bis neun Jahren.
Ganze Wohnviertel in Gaza sind zerstört, ebenso weitgehend die dortige Infrastruktur einschließlich der medizinischen. Seit über 2 Monaten blockiert Israel sämtliche Hilfslieferungen in den Gazastreifen, mit den entsprechenden Folgen für die Zivilbevölkerung. Ob und inwieweit diese Totalblockade gelockert wird, wie Netanjahu nun sagt, wird zu sehen sein. Sein Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben Gvir, meldete sich laut tagesschau.de vom 19. Mai jedenfalls wie folgt: „Eine Verhandlungslösung, ohne die Hamas zu vernichten, das wird nicht passieren. Der Job muss erledigt werden. Den Gazastreifen mit voller Kraft einnehmen, besetzen und besiedeln. Bloß keine humanitäre Hilfe reinlassen. Ich hoffe, wir gehen den ganzen Weg zum Sieg.“ Ben Gvir ist nicht das einzige Regierungsmitglied, das ganz offen die Reokkupation des Gazastreifens und die Vertreibung der palästinensischen Bevölkerung als Kriegsziel proklamiert.
Im Gegensatz zur Frage der Totalblockade der Hilfsmittel für Gaza ist eines sicher: Die jüngste Militäroffensive Israels mit dem Namen „Gideons Streitwagen“ bringt weiteren Tod und Zerstörung für die palästinensische Zivilbevölkerung wie für die israelischen Geiseln der Hamas. Wohin die palästinensische Zivilbevölkerung noch fliehen soll, weiß kein Mensch, Israel greift in Nord und Süd an. Der bereits erwähnte Bericht der Tagesschau zitiert einen palästinensischen Zivilisten namens Abu Mohammad Yassin aus dem schwer unter Beschuss stehenden Flüchtlingscamp Dschabalya im nördlichen Gaza mit den folgenden Worten: „Ich sammle Holz und Plastik und verkaufe es, damit ich mir einen Eselskarren leisten kann, um zu flüchten. Ich habe kein Geld, um zu fliehen. Wenn die Israelis einen Waffenstillstand wollen, lehnt die Hamas ab. Wenn die Hamas einen Waffenstillstand will, lehnt Israel ab. Beide Seiten wollen uns auslöschen. Bitte Gott, Gnade! Keine Vertreibung mehr.“
Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt Israel in diesem Krieg mit Waffenlieferungen. Sie tut dies im Namen der jüdischen Opfer des deutschen Faschismus.
Um an die Vertreibungsgeschichte der palästinensischen Bevölkerung zu erinnern, erklärte 1998 der damalige PLO-Vorsitzenden Jassir Arafat den 15. Mai zum Gedenktag der Nakba. An diesem Tag fand in Marburg eine Protestkundgebung unter dem Motto „Stoppt den Massenmord in Palästina – Stoppt die Nakba 2.0!“ statt. Die von einem breiten Bündnis aus Palästinasolidarität Marburg, Marburg hilft e.V., palästinensischen Familien Marburg, DGB Bezirk Marburg-Biedenkopf, Marburger Bündnis „Nein zum Krieg“, DIDF-Jugend, „Revolutionäre Linke“, „links rum! LAG für Frieden und soziale Sicherheit“, Marburger Linke & Piraten, SDS Marburg, Las Cayenas, Seebrücke Marburg, MERA25 und DKP getragene Kundgebung erhob folgende Forderungen:
„1. Eine Rückkehr zum Waffenstillstand in Gaza
2. Einen Geiselaustausch zwischen Israel und der Hamas
3. Wiederaufbau statt Vertreibung: keine zweite Nakba sondern humanitäre Hilfe“.
An die Bundesregierung richtete das Kundgebungsbündnis die folgenden Forderungen:
„1. Einstellung aller Waffenlieferungen Deutschlands an Israel
2. Sofortige Wiederaufnahme der deutschen Hilfen an das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästinenserinnen und Palästinenser“.
An der Kundgebung nahmen etwa 100 Menschen teil. Im Folgenden unser Bericht:
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